Regulatory Update: Die Konformitätsvermutung harmonisierter Normen hat Risse

DI Martin Schmid, Geschäftsführer en.co.tec

DI Martin Schmid, Geschäftsführer en.co.tec

Es wird einigen aufgefallen sein, dass bei den letzten Veröffentlichungen der Harmonisierten Normen im Amtsblatt der europäischen Union nur wenige Normen aktualisiert oder hinzugefügt wurden. Ich möchte Ihnen heute einen Überblick geben, was in diesem Bereich auf Sie zukommt.

Schon seit einiger Zeit wird im Amtsblatt bei etlichen Normen darauf hingewiesen, dass diese Europäische Norm nicht notwendigerweise die Anforderungen der 2007/47/EC (Aktuelle Revision der Medizinprodukterichtlinie 93/42/EEC) abdeckt. Bei anderen Normen findet sich der Hinweis, dass diese Norm ergänzt werden muss, um die Anforderungen der 2007/47/EC zu erfüllen. Dabei wird Herstellern geraten, zu überprüfen, ob alle Grundlegenden Anforderungen ausreichend durch die Norm abgedeckt sind.

Hintergrund ist, dass bei der Überprüfung etlicher harmonisierter Normen für Medizinprodukte im Auftrag der europäischen Kommission Bedenken entstanden sind, ob bestimmte Normen tatsächlich zur Erfüllung Grundlegender Anforderungen geeignet sind.

Bisher war immer davon auszugehen, dass bei Einhaltung von Normen aus der Liste harmonisierter Normen die Konformitätsvermutung gilt. Das heißt, der Hersteller konnte darauf vertrauen, dass eine harmonisierte Norm den Stand der Technik widerspiegelt und so das Mittel der Wahl bei der Erfüllung der Grundlegenden Anforderungen darstellt.

Seit geraumer Zeit stellen aber einige harmonisierte Normen scheinbar nicht mehr den Stand der Technik dar. Ein Beispiel hierfür ist die EN 60601-2-12. Für diese Norm gibt es eine aktuellere Version, nämlich die EN 80601-2-12 (nicht harmonisiert). Und wenn Sie bei Beuth.de schauen, werden Sie sehen, dass die EN 60601-2-12 nicht mehr geführt wird. Gleichzeitig finden Sie diese Norm noch immer in der aktuellen Liste der harmonisierten Normen.

Das bedeutet, dass die Hersteller nun neben den Harmonisierten Normen auch verstärkt andere Normen, die den Stand der Technik darstellen, zur Erfüllung der Grundlegenden Anforderungen heranziehen müssen.

Die europäische Medizinprodukteverordnung bekommt Fahrt

Am 13. Oktober 2015 hat der Trilog zwischen Europäischer Kommission, Parlament und Rat zur europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation – MDR) gestartet. Läuft alles glatt, könnte die Medizinprodukteverordnung schon Ende 2015 fertig sein. Realistisch ist jedoch Anfang 2016.

Die neue Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation – MDR) wird die Richtlinien 93/42/EWG über Medizinprodukte (MDD) und 90/385/EWG über aktive implantierbare Medizinprodukte (AIMD) ersetzen. Die Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika (IVD) wird nicht in der Medical Device Regulation aufgehen, sondern es wird eine zweite neue Verordnung zu In-vitro-Diagnostika geben.

Mit der Neuregulierung durch Verordnungen entfällt die legislative Umsetzung durch nationale Gesetze. Damit ist mit einer Übergangsfrist von 2-3 Jahren mit einem vollständigen In-Kraft-treten 2018/19 zu rechnen.

Ziel der neuen Medizinprodukteverordnung ist es, die Schwachstellen im europäischen Medizinprodukte-Zulassungssystem zu beheben.

Benannte Stellen

  • Strengere Kriterien für die Benennung und Überwachung der Benannten Stellen.
  • Vereinheitlichung der Tätigkeit der benannten Stellen
  • Einführung von „special notified bodies“ für sogenannte Hochrisikoprodukte
  • Einführung eines Scrutiny-Verfahrens, welches Benannte Stellen verpflichtet, jeden neuen Antrag auf Konformitätsbewertung für ein Produkt mit hohem Risiko an eine Expertenkommission (die Medical Device Coordination Group (MDCG)) zu melden.

Produkte

  • Der Inhalt der Technischen Dokumentation wird in der Medical Device Regulation detaillierter geregelt.
  • Jedes Produkt muss künftig eine „unique device ID“, UID erhalten.

Hersteller

  • Ein Hersteller muss eine qualifizierte Person im Unternehmen benennen, die über qualifiziertes Fachwissen auf dem Gebiet der Medizinprodukte verfügen muss.
  • Klinische Bewertungen und klinische Prüfungen werden detaillierter geregelt.

Hersteller von Medizinprodukten sollten sich rechtzeitig mit den potentiellen Auswirkungen der neuen Medizinprodukteverordnung auf ihre Produkt auseinandersetzen.

Wenn Sie weitere Fragen haben, helfe ich Ihnen gerne weiter!

DI Martin Schmid
Geschäftsführer en.co.tec